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KonflikteUkraine

Wie die Ukraine ein A-50-Flugzeug abgeschossen haben könnte

Lilia Rzheutska | Roman Goncharenko
16. Januar 2024

Die Ukraine will erstmals ein russisches A-50-Aufklärungsflugzeug abgeschossen haben. Es wäre ein historischer Erfolg im Krieg gegen Russland. Wie könnte er gelungen sein und was wären die militärischen Folgen?

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Ein Flugzeug vom Typ A-50 fliegt an einer goldenen Statue auf dem roten Platz in Moskau vorbei
Das A-50 Flugzeug ist für Russland von enormer Bedeutung (Archivfoto)Bild: Evgeny Biyatov/Host Photo Agency/Getty Images

Moskau schweigt. Bis Dienstagabend hatte das Verteidigungsministerium Russlands nicht auf Meldungen des ukrainischen Militärs reagiert, wonach am Sonntag über dem Asowschen Meer ein russisches A-50-Aufklärungsflugzeug abgeschossen und ein fliegender Kommandostand vom Typ Il-22M beschädigt worden sein soll.

Dmitri Peskow, Pressesprecher des russischen Präsidenten, sagte lediglich, der Kreml habe darüber "keine Informationen". Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ukraine, Walerij Saluschnyj, und der Kommandeur der Luftstreitkräfte, Mykola Oleschtschuk, bestätigten hingegen, die russischen Flugzeuge getroffen zu haben.

Warum ist die A-50 für Russland so wichtig?

Sollten die Informationen auch aus anderen Quellen bestätigt werden, wäre es den ukrainischen Streitkräften erstmals gelungen, eine A-50-Maschine abzuschießen. Die Frühwarnflugzeuge wurden Ende der 1970er Jahre in der Sowjetunion auf Basis des Transportflugzeugs Il-76 entwickelt.

Sie sind leicht an ihrer großen rotierenden Scheibe zu erkennen. In den NATO-Ländern werden solche fliegenden Radarsysteme als AWACS (Airborne Early Warning and Control System) bezeichnet.

Der Ukraine war es seit Beginn von Russlands Angriffskrieg bereits gelungen, Il-76-Maschinen zu treffen, sowohl in der Luft als auch am Boden. Der Abschuss einer A-50 wäre bislang einmalig.

Ein AWACS-Aufklärungsflugzeug der NATO fliegt vor einem blauen Himmel
Ein AWACS-Aufklärungsflugzeug der NATO (Archivfoto)Bild: Rostislav Kalousek/picture alliance/dpa/CTK

Normalerweise bewegen sich solche Flugzeuge bis zu mehrere hundert Kilometer weit von den Kampfgebieten entfernt. Ihre Hauptaufgabe ist die Aufklärung in der Tiefe sowie die Unterstützung bei der Anvisierung von Zielen, vor allem in der Luft.

Medienberichten zufolge verfügen die russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte über etwa ein Dutzend funktionierende Flugzeuge dieses Typs. Die modernisierten Modelle, die A-50U, gibt es seit 2011.

Das neueste wurde im September 2023 den russischen Streitkräften übergeben. Im Februar 2023 wurde ein A-50-Flugzeug auf einem Flugplatz in Belarus durch eine Drohne beschädigt.

Il-22M-Flugzeuge werden als fliegende Kommandozentralen eingesetzt. Eine solche Maschine wurde im Juni 2023 von der Wagner-Gruppe, einer formal privatrechtlich organisierten russischen paramilitärischen Organisation, während ihres Aufstands in der Region Woronesch im Juni 2023 abgeschossen.

Wie könnte die Ukraine das A-50 Flugzeug abgeschossen haben?

Die ukrainischen Streitkräfte geben nicht an, wie genau und mit welchen Mitteln die Flugzeuge A-50 und Il-22M angegriffen wurden. Walerij Romanenko von der ukrainischen Universität für Luftfahrt wies im Gespräch mit der DW darauf hin, dass es sich um Patriot-Luftverteidigungssysteme aus den USA handeln könnte.

Demnach verfügt Kiew über keine anderen Waffen mit ähnlichen Eigenschaften. Weil die Ziele über dem Asowschen Meer vor der Küste des von Russland besetzten Teils der Ukraine getroffen wurden, könne es sich nur um Patriot-Raketen gehandelt haben, von denen einige Modifikationen eine Reichweite von 160 Kilometern haben.

Dies würde jedoch bedeuten, dass die ukrainischen Streitkräfte teure und leistungsstarke Patriot-Systeme in die Nähe der Frontlinie verlegt haben. Kiew verfügt über mehrere solcher Systeme, darunter auch solche aus Deutschland.

Bisher wurden sie zum Schutz großer Städte vor russischen Raketen eingesetzt. Nach Angaben der ukrainischen Seite werden die modernen russischen Überschallraketen vom Typ Kinschal gerade mit ihnen abgefangen.

"Patriot-Systeme so nah an die Front zu bringen, ist eine mehr als riskante Operation", sagte Oleg Katkow, Chefredakteur von Defence Express, der DW. Er erinnerte daran, dass schon im Mai 2023 auch in der Region Brjansk an der Grenze zur Ukraine mehrere russische Kampfflugzeuge und Hubschrauber so vernichtet worden seien.

Ukrainische Militärs in Deutschland beim Training am Patriot-Luftverteidigungssystem in einer verschneiten Landschaft im Dezember 2023
Ukrainische Militärs in Deutschland beim Training am Patriot-Luftverteidigungssystem (Dezember 2023)Bild: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Im Dezember 2023 meldete die Ukraine, sie habe drei russische Bomber an der Südfront abgeschossen. Womit genau, ist ebenfalls unbekannt, aber viele Beobachter gehen auch dort von Patriot-Systemen aus.

Der österreichische Militärhistoriker Oberst Markus Reisner vermutet im DW-Gespräch, dass die A-50 nicht nur von Patriots, sondern auch von einem anderen System - sowohl vom Boden als auch aus der Luft - getroffen worden sein könnte. Möglicherweise seien unterschiedliche Systeme zum Einsatz gekommen.

Was wird sich jetzt an der Front ändern?

Der Angriff der ukrainischen Streitkräfte über dem Asowschen Meer werde mehrere Konsequenzen haben, sagen die Experten. Markus Reisner geht davon aus, dass Russland bis zur Klärung aller Umstände nicht so tun könne, als wäre nichts passiert. 

Walerij Romanenko rechnet damit, dass die russischen Streitkräfte gezwungen sein werden, ihre Aufklärungsflugzeuge um etwa 100 Kilometer von der Frontlinie zurückzuziehen. Dies werde Kiew "in einigen Gebieten taktische Vorteile" verschaffen, von denen aus das ukrainische Militär Angriffe auf die Krim und Ziele tief in anderen besetzten Gebieten durchführt.

Das könnte auch die Bedingungen für den Einsatz ukrainischer Kampfflugzeuge verbessern, sowohl zur Deckung von Operationen am Boden, als auch beim Einsatz westlicher Marschflugkörper wie der Storm Shadow.

Markus Reisner spricht von einem "beeindruckenden Erfolg" der Ukraine, nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch im Medienbereich, insbesondere vor dem Hintergrund von Krisen in anderen Regionen der Welt. Er verglich die jüngsten Ereignisse mit dem ukrainischen Angriff auf ein russisches U-Boot auf der Krim im September 2023.

Der österreichische Militärexperte meint, die Ukraine habe erneut die Fähigkeit bewiesen, die "kleinen Mittel, die ihr zur Verfügung stehen, unglaublich effektiv einzusetzen". Dies ist seiner Ansicht nach auch wichtig für die weitere Unterstützung aus dem Westen.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk