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PolitikUkraine

Ukraine: Reform des Militärdienstes inmitten des Krieges

7. November 2023

Im ukrainischen Militär wird das Personal knapp. Mit verschiedenen Maßnahmen will die Regierung in Kiew den Dienst in der Armee attraktiver machen. Dazu gehört auch eine neue Personalpolitik.

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Werbeplakat für den Dienst in der ukrainischen Armee mit einem abgebildeten Soldaten
Gegen den Personalmangel - Werbung für den Dienst in der ukrainischen ArmeeBild: David Allignon/Maxppp/picture alliance

Mehr als anderthalb Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges wollen immer weniger Ukrainer  Militärdienst leisten. Das sagen sowohl Kommandeure der ukrainischen Armee als auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte des Landes, Walerij Saluschnyj. In einem Artikel für das Magazin "Economist" zählt Saluschnyj die Gründe auf: "Die lange Dauer des Krieges, die begrenzten Möglichkeiten, Soldaten an der Kontaktlinie auszuwechseln, und Lücken in der Gesetzgebung, die auf scheinbar legale Weise ermöglichen, sich einer Mobilisierung zu entziehen" - diese Faktoren verringerten die Motivation, Militärdienst zu leisten, erheblich.

Walerij Saluschnyj steht vor einem Mikrofon
Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj will den Kreis der Bürger erweitern, die zum Militärdienst einberufen werden könnenBild: Photoshot/picture alliance

Andrij Kosintschuk, Militärpsychologe und Kampfoffizier der ukrainischen Streitkräfte, bestätigt die Einschätzung des Oberbefehlshabers. "Die Leute an der Front werden knapp: Sie sterben, werden verstümmelt, erkranken und altern. In meinem Bataillon wurden drei Soldaten nach Hause geschickt, weil sie 60 Jahre alt geworden sind. Ich selbst liege derzeit im Krankenhaus. Es fehlen Kämpfer. Ohne Menschen werden wir nichts tun können, selbst wenn wir moderne Drohnen, Panzer und Flugzeuge haben. Sie werden von Menschen gesteuert", sagte Kosintschuk im Gespräch mit der DW. Auch andere Kommandeure haben inzwischen öffentlich erklärt, die ukrainische Armee müsse aufgestockt, die Einheiten verstärkt und eine Rotation ermöglicht werden.

Militärangehörige sagen, ein zusätzliches Problem sei, dass klare Fristen für eine Demobilisierung derjenigen fehle, die schon länger als eineinhalb Jahre im Dienst seien. Das schrecke Personen ab, die eigentlich gerne zur Armee gehen würden. 

Nicht jeder wehrpflichtige Ukrainer ist bereit zu kämpfen

Darum versucht die Regierung in Kiew, den Militärdienst attraktiver zu machen. So hat das Ministerium für digitale Transformation ein Pilotprojekt mit der Bezeichnung "Smarte Mobilisierung" gestartet, dank dessen sich die Ukrainer selbst eine militärische Funktion aussuchen können.

Lockangebote für den Militärdienst

"Eine Person entscheidet sich dafür, Drohnen zu steuern oder allgemein in einer Kompanie für Angriffsdrohnen zu dienen. Das kann ein Pionier oder ein Fahrer sein, alle Funktionen sind verfügbar. Und das Wichtigste ist, wenn man einen Antrag stellt und die Tests besteht, dann bekommt man eine Ausbildung und landet auf jeden Fall in einer Kompanie für Angriffsdrohnen. Man bekommt ganz sicher die Funktion, für die man sich beworben hat", sagt der Minister für digitale Transformation, Mychajlo Fedorow.

Gleichzeitig verspricht Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj, die Ausbildung der Mobilisierten werde unter Anleitung erfahrener Militärangehöriger erfolgen. "Wir führen auch ein 'Kampftraining' ein, bei dem mobilisiertes und frisch ausgebildetes Personal in erfahrenen Einheiten an der Front untergebracht wird", betont der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte.

Andrij Kosintschuk glaubt, dass dies Zivilisten besser motivieren wird, in die Armee einzutreten. "Ich halte nichts von Zwang. Wir können dem entgegenwirken, indem wir den Menschen erläutern, wie wichtig es ist, sich mit dem Staat zu identifizieren und eine Wahl zu haben. Wenn jemand weiß, was er will, wird er entsprechend kämpfen", sagt der Militärpsychologe.

Den richtigen Ansatz finden

Experten erläutern, wie die Motivation zum Militärdienst verbessert werden kann. So bekommen potentielle Rekruten nicht einfach die "siegesbewusste" Informationspolitik des Staates zu hören, sondern ihnen werden die Vor- und Nachteile ihres Dienstes detailliert und ehrlich beschrieben. In diesem Zusammenhang zitiert der Sicherheitsexperte des Kiewer Rasumkow-Forschungszentrums Oleksij Melnyk die Rekrutierungskampagne der Dritten Angriffsbrigade der Streitkräfte der Ukraine. Deren Werbung wird auf Plakaten in den Städten, aber auch in sozialen Netzwerken verbreitet. Laut Melnyk ist eine solche Kampagne viel effektiver als Vorladungen zu den Einberufungsstellen der Armee. Der Ansatz sei Freiwilligkeit und gute Information: "So bekommt man motivierte Leute, die den Anforderungen am besten entsprechen."

Plakat mit dem Aufruf "Kämpfe!" - Werbung für die Dritte Angriffsbrigade der Streitkräfte der Ukraine
"Kämpfe!" - Werbung für die Dritte Angriffsbrigade der Streitkräfte der UkraineBild: DW

Darauf zielt offenbar das neue Konzept der Personalpolitik für das Militär bis 2028 ab, das vom ukrainischen Verteidigungsminister Rustem Umjerow bestätigt wurde. Es soll den Streitkräften ermöglichen, einen Dienst auf Vertragsbasis einzuführen. Der verpflichtende Militärdienst soll offenbar durch eine intensive militärische Ausbildung der Bürger im Wehrpflichtalter ersetzt werden.

Das Verteidigungsministerium betont, dass die Ukraine ein wirksames System zur Rekrutierung professionellen und motivierten Personals für die Streitkräfte des Landes bekommen wird. Dabei werde ein Ansatz verfolgt, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt und die Ausbildung und berufliche Entwicklung Militärangehöriger sowie die Geschlechtergleichheit berücksichtigt. Das Verteidigungsministerium verspricht Militärangehörigen zudem einen effizienten und transparenten Sold sowie eine garantierte Unterbringung.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk