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PolitikUkraine

Ukraine: Wer ist der neue Verteidigungsminister Umerow?

Roman Goncharenko
4. September 2023

Nach Korruptionsvorwürfen gegen das Verteidigungsministerium wechselt der ukrainische Präsident Selenskyj die Spitze aus. Der künftige Minister Rustem Umerow hat starke Verbindungen zur Krim - und der Türkei.

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Rustem Umerow
Rustem Umerow, künftiger Verteidigungsminister der UkraineBild: Thomas Imo/photothek/picture alliance

Die Personalentscheidung ist historisch. Zum ersten Mal in der Geschichte der Ukraine wird ein Vertreter der Krimtataren das Verteidigungsministerium leiten. Es ist ein Schlüsselposten mitten im Angriffskrieg, den Russland seit mehr als anderthalb Jahren gegen die Ukraine führt.

Präsident Wolodymyr Selenskyj machte am Sonntag seine Nominierung von Rustem Umerow bekannt, das Parlament soll noch diese Woche darüber abstimmen.

Das Ministerium brauche "neue Ansätze und neue Formate der Zusammenarbeit sowohl mit den Militärs als auch mit der Gesellschaft insgesamt", begründete Selenskyj seine Entscheidung in seiner täglichen Fernsehansprache.

 Oleksij Resnikow
Der bisherige ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow gibt seinen Posten abBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Vorausgegangen war eine zweite Welle von Korruptionsvorwürfen gegen das Verteidigungsministerium, die zunehmend auch den Minister Oleksij Resnikow unter Druck gesetzt hatte. Die prominentesten Beispiele sind Bestechungen in regionalen Musterungsbüros, um der Mobilisierung zu entgehen, sowie die angebliche Beschaffung von Soldatenuniformen zu überhöhten Preisen. Bei der ersten Kritikwelle zu Jahresbeginn ging es unter anderem um zu teuer eingekaufte Lebensmittel.

Anderthalb Jahre nach der russischen Invasion wechselt nun die Ukraine zum ersten Mal die Spitze des Verteidigungsministeriums aus. Wer ist der Neue?

Getreideabkommen mitausgehandelt

Rustem Umerow scheint aus vielen Gründen ein perfekter Kandidat für den Job zu sein. Der 41-Jährige war seit rund einem Jahr Leiter der staatlichen Treuhandstiftung und kümmerte sich um Privatisierung und damit Geldbeschaffung für die vom Krieg schwer angeschlagene Staatskasse. So verkaufte Umerows Behörde für 211 Millionen Euro ein Tochterunternehmen des Rüstungsherstellers "Ukroboronprom", zuständig für Verarbeitung und Entsorgung der Produktionsreste.

Im ukrainischen Parlament war Umerow als Abgeordneter Leiter eines Ausschusses, der den Umgang mit westlicher Militärhilfe kontrolliert. Er war unter anderem dafür zuständig, für mehr Transparenz zu sorgen.

Außerdem war Umerow an zwei besonders wichtigen diplomatischen Initiativen beteiligt: Er gehörte zum auserwählten Kreis der ukrainischen Delegation bei der ersten Verhandlungsrunde zwischen Moskau und Kiew in Belarus, unmittelbar nach der Invasion.

Auch an den Verhandlungen zum Getreideabkommen im Sommer 2022 in der Türkei  war er mitbeteiligt. Das Abkommen mit der Türkei und der UN sicherte die Ausfuhr von ukrainischen Lebensmitteln aus Häfen am Schwarzen Meer. Nach fast einem Jahr stieg Russland aus dem Abkommen aus. Der Versuch des türkischen Präsidenten Erdogan, das Abkommen wieder zu beleben, ist erneut gescheitert. Erdogan will dennoch weiter verhandeln.

Kindheit in Deportation

Es ist Umerows persönliche Geschichte, die ihn als Verteidigungsminister besonders macht. Umerow ist ein Krimtatar und wurde 1982 in der damals sowjetischen zentralasiatischen Republik Usbekistan geboren. Er hat deshalb einen ganz besonderen Bezug zu der von Russland annektierten Krim.

Krimtataren erinnern an Deportation im April 2014 auf der annektierten Halbinsel
Krimtataren erinnern an Deportation im April 2014 auf der annektierten Halbinsel Bild: picture alliance/dpa/P. Alexei

Umerows Familie stammt von der Krim und wurde 1944, wie hunderttausende Krimtataren, unter dem Sowjetführer Stalin in entlegene Gebiete deportiert. Erst in den 1990er Jahren kehrte die Familie in die Ukraine zurück. Er habe deshalb "einen existenziellen Widerspruch gegen die koloniale und räuberische Politik Russlands", sagte Umerow in einem Interview mit der ukrainischen Zeitung Liwyj bereh. Seine Kindheit verbrachte er "in Deportation" in Usbekistan.

Nach dem Wirtschaftsstudium machte Umerow schnell eine Karriere als Geschäftsmann. Er war unter anderem Abteilungsleiter eines türkischen Mobilfunkunternehmens in der Ukraine, engagierte sich zunehmend politisch für sein Volk und war ein Berater des führenden politischen Vertreters der Krimtataren Mustafa Dschemiljew. 2019 ließ sich Umerow als Abgeordneter für die Partei "Holos" (Stimme) ins ukrainische Parlament wählen.

Verteidigungsminister mit diplomatischen Aufgaben 

Es sind vor allem Umerows Verbindungen in die Türkei und die islamische Welt, die ihn für Selenskyj besonders wertvoll machen. Die Verbindungen in die Türkei waren für die Ukraine immer besonders wichtig. Als prominentes Beispiel gilt die in der Türkei gekauften Bayraktar-Drohnen, die der Ukraine halfen, den ersten russischen Angriff abzuwehren.

Aber nicht nur das. Sollte das Verhältnis der Ukraine zu Ankara sich verschlechtern und russische Kriegsschiffe wieder über den Bosporus fahren, würde das eine "ernste Gefahr für ukrainische Gewässer" bedeuten, so Umerow im Liwyj bereh-Interview.

Auch in die USA hat der designierte Verteidigungsminister offenbar gute Kontakte. Eine von ihm gegründete Stiftung hat ein Bildungsprogramm für aufstrebende ukrainische Politiker an der Stanford-Universität mit initiiert. Umerow wird diese Kontakte brauchen, um internationale Hilfe für die Ukraine nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auch auszubauen, vor allen im Nahem Osten.

Länder aus dieser Region tragen die westlichen Sanktionen gegen Russland bis heute nicht mit. Ein Verteidigungsminister in der Ukraine ist in Kriegszeiten auch ein Diplomat. Selenskyj zählt offenbar auf Umerows jüngste Erfahrungen auch auf diesem Gebiet.